Ein gutes, wirklich Neues Jahr … 1.1.17

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Unhörbar 

1915 / Ein glückliches Neues Jahr

Eine farbige Autotypie zum Neujahr 1914/15

Zitiert nach: Lebeck, Robert: Herzlichen Glückwunsch. 80 alte Postkarten, gesammelt und herausgegeben von

R. Lebeck, Nachwort Gerhard Kaufmann (Die bibliophilen Taschenbücher) Dortmund 1979, Abb. 79

Ein blutroter Himmel fast übers gesamte Bild, mit schwarzen Flecken zusätzlich verdüstert, darauf eine leuchtend gelbe, lorbeerumkränzte Sonne mit der roten Inschrift „1915“ — kein sehr vielversprechender Sonnenaufgang bei solchem Hintergrund. Man neigt fast dazu, solche Düsternis für verdeckte (kritische) Absicht zu halten, bedenkt man die meisterhafte Miniatur der Dorfkirche im Hintergrund, die ihr Licht ganz flach über die Feldflur von rechts, also in kartographischer Perspektive deutlich von Osten her, erhält; das Grün als Komplementärfarbe macht den kleinen hellen heimatlichen Fleck in der Finsterheit umso leuchtender.

Die sonstige Gestaltung wie die Stofflichkeit lassen freilich von Kritik nichts erkennen. Im Vordergrund, auf schwarzem Boden, kniet ein Ritter in voller Blechmontur, den Helm ab zum (anscheinend stummen) Gebet, neben sich eine Fahnenstange mit Schwarz-Weiß-Rot. (Der Ritter ist natürlich blond und bärtig.)

Klanglich läßt sich in diesem pars pro toto einer Feldmesse sowohl der Glockenklang da lontano, von fern von der Dorfkirche imaginieren wie, sozusagen aus dem Off, so etwas wie z.B. Ich bete an die Macht der Liebe; dergleichen west fort etwa bei provozierenden, programmatisch „feierlichen“ Bundeswehrgelöbnissen oder ähnlichen post-pubertär verspäteten Initationsritualen. (Andre Länder, andre Sitten. Aber keine besseren, wie etwa der Gebets- und Flaggenkult schon im Schulsystem der USA zeigt.) Die Verbindung von Mittelalter-Mythologie und Materialschlacht, von Massenmord und pseudoindividualistischer Ritterromantik, von Sakralität und Materialschlacht-Massaker hat schon als besonders widerwärtig Karl Kraus etwa in Die letzten Tage der Menschheit sarkastisch behandelt.

(Text leicht verändert aus: Heister, Soundtrack III und Sozialpsychologie. Sprechen, Sang und Klang auf deutschen Glückwunschpostkarten zwischen Jahrhundertwende und Novemberrevolution, in: Musik und Leben: Freundesgabe für Sabine Giesbrecht zur Emeritierung, hg. von Hartmuth Kinzler (Schriftenreihe des Fachbereichs Erziehungs- und Kulturwissenschaften / Universität Osnabrück, Bd. 18), Osnabrück 2003, 155-179).

Zum Glockenklang und mit Glockenklang gibt es zahlreiche Musikstücke, zahlreiche Gedichte oder Erzählungen und schließlich zahlreiche Diskussionen über die Lärmbelästigung. Dazu später einmal ein Beitrag im Blog.

 

Sehr hörbar. Mit Glocken

Hier genannt sei erst einmal Stefan Litwins The Bells, Melodram und Totentanz (nach Edgar Allan Poe) für eine Sprechstimme und Klavier, 2006.

Poe legt sein Gedicht umgekehrt an wie hier in den einleitenden Bildern: Es wird immer lauter.

I. Hört der Schlittenglocken Klang – Silberklang! Welche Welt von Lustigkeit verheißt ihr heller Sang!
Wie sie klingen, klingen, klingen.

II. Hört der Hochzeitsglocken Klang – Goldnen Klang! Welche Welt von Seligkeit verheißt ihr voller Sang! Wie ihr Läuten lauter lacht Durch den Balsamduft der Nacht!

III. Hört der Feuerglocken Klang – Bronznen Klang! Welch ein Aufruhr stürmt daraus so schreckenvoll und bang! Wie ihr Schreien Schreck entfacht In durchbebter Luft der Nacht!Zu entsetzt, um klar zu sein, Können sie nur schrein, nur schrein, Ohne Takt

IV. Hört der Eisenglocken Klang – Eisenklang! Welche Welt von Trauer trägt ihr monotoner Sang! In der Grabesruh der Nacht Wie er uns erschauern macht Durch das Trauern und das Drohen in dem Ton! …

Leichenfressende Dämonen Sind’s, die in den Glocken wohnen, All im Sold Ihres Königs, der da tollt,… Triumph aus Glockenklang! …

And their king it is who tolls ; And he rolls, rolls, rolls, rolls, Rolls  A pæan from the bells !   And his merry bosom swells  With the pæan of the bells! And he dances, and he yells;       Keeping time, time, time,  In a sort of Runic rhyme,  To the pæan of the bells  Of the bells  Keeping time, time, time,  In a sort of Runic rhyme,  To the throbbing of the bells  Of the bells, bells, bells

Das englische Stichwort „bells“ wird in Litwins Komposition noch häufiger wiederholt als im Gedichtext und am Schluss vom Sprecher so vorgetragen, dass es geradezu dem deutschen Gebell ähnelt. Jedoch: Krach und Wohllaut, Lärm und Klang sind in der übergreifenden, durchaus auch dissonanten Harmonie der Musik doch wieder vereint.

Das Werk findet sich auf der CD The Bells. Telos Music Records ‎– TLS 075; zusammen mit Claude Debussy, La Cathédrale Engloutie; Michael Gielen, Klavierstück in sieben Sätzen „Recycling der Glocken“; Maurice Ravel, La Vallée Des Cloches; Ferenc Liszt, Carillon.

Stefan Litwin, *1960, Komponist und Pianist, komponiert kunstvoll-gehaltvolle CD-Alben, so das eben genannte, oder „… die Hölle aber nicht“. Musik zu Imre Kertesz von Gideon Klein, Stefan Litwin, Anton von Webern und B. A. Zimmermann. Stefan Litwin, Klavier; Hanns Zischler, Stimme; Ensemble Resonanz. Es-Dur ES2055. Den Leitfaden bilden Auszüge aus Kertesz‘ Galeerentagebuch. Litwin macht in seinem eigenen Werk „..., die Hölle aber nicht.“ für Streichquartett, Klavier und Sprecher (2008/09) mit knappen Zitaten aus dem Roman eines Schicksallosen (1973) die Musik sprechend, durch Zitate wie eine „gepfiffeneDies-irae-Anspielung oder einen schauerlichen Wiener Blut, ein Ländler-Tempo (Wie aus einer Spieldose), wenn der „Schicksallose“ die Lagerzeit bis in die Sekunden hinein berechnet, durch Körperlich-Zeichenhaftes wie die Beschleunigung des musikalischen Pulses auf das Stichwort „Herz“, durch semantische Satztechniken wie das Zerfasern von Strukturen, verfremdete Instrumentalklänge, verstörende Gesten, Reduktion aufs Tonlos-Geräuschhafte.

Litwin brilliert außerdem mit anspruchsvollen Lecture Recitals, d.h. Vorträgen mit Klangbeispielen am Klavier.

Und er schreibt beständig politische, für einen humanen Fortschritt engagierte Musik.

Sein jüngstes Werk ist Nacht mit Gästen nach Peter Weissgleichnamiger theatralischer „Moritat“. Dieses Musiktheater für 6 Darsteller und 8 Instrumente nach Peter Weiss wurde am 21. Oktober 2016 erfolgreich uraufgeführt an der Hochschule für Musik Saar, und inzwischen auch an einigen Schulen im Saarland vorgeführt.

S. auch: http://www.stefanlitwin.com/; https://de.wikipedia.org/wiki/Stefan_Litwin, 28.10.16.

Ohne Glocken, mit Musik. Vergangenheiten, Gegenwart, Zukünfte

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Hermann Keller, *1945, Komponist und Pianist, schreibt beständig politische, für einen humanen Fortschritt engagierte Musik. Beim Appell an das „Vorwärts, und nicht vergessen …“ bezieht er die rückwärtigen Verbindungslinien ein. Die Erinnerung an Vergangenheit schärft den musikalischen Blick auf Gegenwart und Zukunft.

http://hermann-keller.blogspot.de/; http://www.hermann-keller-quartett.de/keller.html: http://www.editionjulianeklein.de/composers?composer_id=100005: https://de.wikipedia.org/wiki/Hermann_Keller_(Komponist), 4.2.16.

Die Violoncellistin Anita Lasker-Wallfisch, *1925, war Mitglied des „Frauenorchesters Auschwitz“ – und überlebte. Sie berichtet darüber in Ihr sollt die Wahrheit erben. Die Cellistin von Auschwitz. Erinnerungen, Reinbek 2000 (1. Auflage Bonn 1997). S. auch: https://de.wikipedia.org/wiki/Anita_Lasker-Wallfisch, 18.11.16; https://en.wikipedia.org/wiki/Anita_Lasker-Wallfisch, 13.12.16.

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Ungesagt

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Ungenannt

Apropos 2017: Vor 100 Jahren, 1917, da war doch noch was …

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